RHZ 1996

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 18.11.1996:

Sozialdemokrat deutlich vor Kontrahent von der CDU beim Ringen um Chefsessel im Bopparder Rathaus

Walter Bersch schlägt Willi Nickenig klar

Stichwahl bestätigte gestern Trend des ersten Durchgangs vor 14 Tagen – Neuer Bürgermeister ab 1. August ’97

BOPPARD. GS. Boppard hat gewählt. Und zwar so, wie es sich die CDU nicht gewünscht hat: SPD-Mann Dr. Walter Bersch (42) wird neuer Chef der Verwaltung. Er schlug in der gestrigen Bürgermeister-Stichwahl seinen Mitbewerber Willi Nickenig (52) klar mit 56,8 zu 43,2 Prozent der 7736 gültigen Stimmen.

Es war 18.27 Uhr – da lagen sich Kandidat Walter Bersch und Gattin Ingrid im kleinen Sitzungssaal der Stadtverwaltung in den Armen. Dort hatte das amtierende Stadtoberhaupt Wolfgang Gipp für die Zuschauer den jeweils neuesten Stand der Auszählung “an die Wand geworfen”. Bereits die ersten Teilergebnisse aus den Stadtteilen bestätigten quasi das Endergebnis: Bis auf Hirzenach und in der City, wo mit jeweils 50 Prozent ein Patt zu verzeichnen ist, liegt Bersch in allen Stadtteilen zum Teil haushoch vorne.

Für ihn entschieden sich am gestrigen Tag 4392 Bopparder, Mitbewerber Nickenig konnte nur 3344 Wähler hinter sich scharen.

In einem ersten Statement zeigte sich Bersch hoch erfreut über das “eindeutige Wahlergebnis”. “Erschreckt” habe ihn allerdings die “heftige Hetzkampagne” der Christdemokraten in den “letzten 24 Stunden vor Öffnen der Wahllokale”. Bersch: “Weniger über die Böswilligkeit, als vielmehr über die Dummheit, die dahinter steckte, das ging voll daneben”. Ungeachtet dessen will er nun darangehen, “die Kräfte in Boppard zu bündeln” und versuchen, seine Vorstellungen für eine “gute Zukunft der Stadt in allen Ortsbezirken Schritt für Schritt umzusetzen”.

Erste Bemühungen nach Berschs Amtsantritt am 1. August ’97 gelten der Einrichtung “Betreuende Grundschule” an allen drei Einrichtungen in der Stadt. Die Verbesserung des ÖPNV durch ein Ruftaxi-System will sich der neue Bürgermeister sofort vornehmen und sich mit Nachdruck um die Finanzen der Stadt kümmern.

Kandidat Willi Nickenig beherzigte das, was Gattin Lotte ihm im “Fundus” beim “Römer” riet: “Tief Luft holen und weiterleben”. Nickenig respektiert die Entscheidung des Wählers. Über sein und der CDU Konzept für die Zeit vor und mit Bersch mochte er gegenüber unserer Zeitung keine Stellungnahme abgeben.

Kommentar

In die Hose

GERHARD SEIB zur Bürgermeisterwahl

Da gibt es kein Vertun: Die von der Bopparder CDU und ihrem Kandidaten ums Bürgermeister-Amt, Willi Nickenig, in den vergangenen Tagen mit Inbrunst betriebene Schmäh-Kampagne gegen den scheinbar und tatsächlich übermächtigen Polit-Gegner Dr. Walter Bersch (SPD) ging voll in die Hose. Bopparder Bürger, das lehrt das mißratene Lehrlingsstück, haben von Parteienstreit die Schnauze voll. Restlos!

 

 

Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 19.11.1996:

Künftiges Stadtoberhaupt will Kräfte “bündeln” – Bürger in ihrem Stimmverhalten nicht eindeutig berechenbar

Wohin steuert die Lokalpolitik? Boppard nach der Bürgermeister-Wahl

BOPPARD. Die Arbeit ist getan, Boppards neuer Bürgermeister gewählt, der Job vergeben, kommunalpolitischer Alltag wieder eingekehrt. Könnte man meinen. Doch ganz so ist es (noch) nicht. Scherben gilt es wegzuräumen, und Siegessträuße bedürfen der Pflege, sonst altern sie vorzeitig.

Dr. Walter Berschs Erfolg über Willi Nickenig könnte eine Zäsur im politischen Geschäft vor Ort bedeuten. Der SPD-Mann Bersch will nicht ausschließen, daß die Karten der Bopparder Kommunalpolitik neu gemischt werden. So ist wohl auch die Aussage in seinem ersten Statement nach dem Wahlsieg zu verstehen: “Ich werde mich jetzt daran begeben, die Kräfte in Boppard zu bündeln.”

Ganz bewußt hatte Bersch während des von ihm geplanten und nur auf sich abgestellten Wahlkampfs Signale aus anderen politischen Lagern unberücksichtigt gelassen. Er will sich einen gewissen Handlungsspielraum für die Zukunft nicht unnötig einengen, ist daraus zu schließen.

Ob und inwieweit dabei die CDU des unterlegenen Kandidaten und Fraktionsvorsitzenden Willi Nickenig beteiligt ist, muß sich noch erweisen. Die Christdemokraten hatten ein für diesen Einsatz erkennbar schwer vermittelbares Produkt mit völlig untauglicher Werbung zu platzieren gesucht. Die Partei wird – davon ist auszugehen – ihre Marketing-Strategien neu zu bewerten haben. Und auch die, die sie aus dem Hut gezaubert hatten?

Ebenso offen ist, welche Konsequenzen der Regierungsangestellte aus seinem deutlichen Scheitern beim Griff nach der “Macht” in der Stadt zu ziehen gedenkt. In einem Interview mit unserer Zeitung hatte sich Nickenig vor drei Wochen auch für den Fall einer Niederlage zu weiterem ehrenamtlichen Engagement für die ganze Stadt bereit erklärt. Diese Aussage muß nun, nachdem der “Fall” eingetreten ist, präzisiert oder gänzlich neu formuliert werden.

Die erste Urwahl in Boppard hat gezeigt, daß die Bürger in ihrem Wahlverhalten nicht so lenkbar sind, wie es die Strategen am Schreibtisch gerne hätten. Der Wahlaufruf des bereits vor 14 Tagen im ersten Anlauf gescheiterten Kandidaten an das Volk, statt seiner nun Willi Nickenig zu wählen, verhallte unerhört zwischen Thüringer Wald und Hunsrück, wie der Hinweis der FDP, sie empfehle den CDU-Mann, sich als Muster ohne Wert entpuppte.

Die Beteiligung bei der Bürgermeister-Stichwahl in Boppard lag bei 62,1 Prozent. Die Mainzer OB-Wahl brachte im ersten Durchgang gerade mal 50 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Bürgermeister Wolfgang Gipp noch am Wahlabend: “Das muß uns erst einmal einer nachmachen.” Gerhard Seib

 

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